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Die Journalistin Jutta W. Thomasius begann 1952 sich für behinderte und benachteiligte Kinder- und Jugendliche und deren Familien zu engagieren. Im Interview mit FNP-Mitarbeiterin Alexandra Flieth spricht sie über die Anfänge von Leberecht, über schmerzliche und positive Erinnerungen sowie über die Herausforderungen in der Gegenwart. Zur morgigen Spendensammlung auf der Freßgass‘ ist sie wieder mit dabei.
Jutta ThomasiusJutta Thomasius Im Jahr 1982 haben Sie erstmals eine Spendensammlung für Leberecht auf der Freßgass' initiiert. Wie ist die Idee hierzu entstanden?
JUTTA W. THOMASIUS: Wir wollten auf die Straße gehen und Flagge zeigen, um die Öffentlichkeit für das Thema der Stiftung zu sensibilisieren. Uns war es wichtig ein Bewusstsein zu schaffen für die Menschen, die mit einer Behinderung ihr Leben zu meistern haben und Unterstützung benötigen. Die Leberecht-Stiftung war übrigens die erste in der Bundesrepublik, die sich besonders für Kinder- und Jugendliche mit Behinderungen und deren Familien einsetzte und die dies zu einem Thema in der Öffentlichkeit gemacht hat. Besonders freue ich mich über das große freiwillige Engagement von Bürgern und Menschen aus dem öffentlichen Leben, das seit der ersten Spendensammlung auf der Freßgass‘ besteht.
Wie wichtig ist freiwilliges Engagement für die Arbeit der Leberecht-Stiftung?
THOMASIUS: Es ist unglaublich wichtig, denn ohne die vielen Menschen, die sich durch verschiedene Aktionen für die Leberecht-Stiftung engagiert haben und engagieren, ohne die zahlreichen Spender wären die Projekte gar nicht realisierbar gewesen.
Was hat sich bis heute im Bewusstsein der Öffentlichkeit im Umgang mit Menschen mit Behinderung geändert?
THOMASIUS: Ich erinnere mich noch gut an die Anfänge unserer Arbeit. Ich begann 1952 zusammen mit Madlen Lorei, der Sekretärin von Richard Kirn und Elfriede Benfer mit der Weihnachts-Paket-Packerei für bedürftige Familien mit vielen Kindern, darunter auch kranken Kindern. Leberecht-Aktion hieß es damals noch. Das Päckchenpacken lief zusammen mit ersten Hilfen für Menschen mit Behinderung fast bis zum Contergan-Skandal. Erst dieser machte Leberecht zu einem ausschließlichen Engagement für Kinder und Jugendliche mit Behinderung und deren Familie. Behinderte Menschen wurden aus der damaligen Gesellschaft ausgegrenzt oder häufig auch in Heime abgeschoben. Frauen, die ein Kind mit einer Behinderung auf die Welt brachten, wurden oftmals von ihren Männern verlassen und standen alleine da. Glücklicherweise hat sich seitdem vieles geändert. Heute ist die gesellschaftliche Akzeptanz da. Zu dieser Entwicklung hat die Leberecht-Stiftung einen großen Beitrag geleistet.
Was ist Ihnen aus Ihrem Engagement der vergangenen Jahrzehnte besonders in Erinnerung geblieben?
THOMASIUS: Ich bin früher in die Familien gegangen und habe geschaut, was benötigt wird. Das ganze Jahr über war ich hierfür unterwegs und habe die Menschen begleitet, habe sie sehr gut kennengelernt und bin auch ein Teil der Familien geworden. Ein Junge ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Er hieß Matthias und litt an Mukoviszidose, einer unheilbaren Erkrankung, die auf einem genetischen Defekt beruht und den Körper auszehrt. Er konnte weder gehen, noch stehen, nur noch liegen. Als er im Alter von 16 Jahren starb, sagte mir seine Familie, dass er trotzdem ein erfülltes Leben geführt habe, auch Dank der Hilfen und der Unterstützung, die ihm die Stiftung ermöglicht habe.
Welche Herausforderungen gilt es heute zu bewältigen?
THOMASIUS: Die Integration von Menschen mit Behinderung in das alltägliche Leben ist weiterhin ein großes Thema. Hierfür ist es auch in Zukunft notwendig, eine gute Öffentlichkeitsarbeit zu leisten, die Gesellschaft zu sensibilisieren und ein Bewusstsein zu schaffen.