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Urteil Korte ./. Bundesrepublik Deutschland - LG Bonn 1 O 211/10
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THEMA: Urteil Korte ./. Bundesrepublik Deutschland - LG Bonn 1 O 211/10

Urteil Korte ./. Bundesrepublik Deutschland - LG Bonn 1 O 211/10 19 Mai 2011 14:46 #17398

  • Christian Stürmer
Landgericht Bonn, 1 O 211/10
Datum:
13.04.2011
Gericht:
Landgericht Bonn
Spruchkörper:
1. Zivilkammer des Landgerichts
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 O 211/10

Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.




Tatbestand


Der Kläger macht Schadensersatzansprüche wegen behaupteter Amtspflichtverletzungen der Beklagten im Zusammenhang mit der Einführung der Medikamente E/E G sowie unter dem Gesichtspunkt der Enteignung durch das Gesetz über die Stiftung "I" geltend.


Der Kläger ist am ##.##.19## mit erheblichen Fehlbildungen beider Arme geboren worden. Ursache der Fehlbildungen war der Wirkstoff Thalidomid. Die Mutter des Klägers hatte während der Schwangerschaft thalidomidhaltige Präparate eingenommen.


Die Firma D GmbH hatte am ##.##.19## die von ihr entwickelten thalidomidhaltigen Präparate E und E G bundesweit zum rezeptfreien Handel eingeführt. In Folge der Einnahme dieser Präparate als Schlaf- und Beruhigungsmittel in der Schwangerschaft kamen Neugeborene mit erheblichen Fehlbildungen auf die Welt.


Zum Zeitpunkt der Markteinführung von E/E G existierte in der Bundesrepublik noch kein Arzneimittelgesetz. Ein solches wurde erst 1961 erlassen.


Am ##.##.19## schlossen ein Großteil der Eltern der geschädigten Kinder mit der Firma D einen Abfindungsvergleich, in dem sich die Firma D zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 100 Millionen DM auf ein Treuhandkonto verpflichtete.


Am ##.##.19## wurde sodann das Gesetz über die Errichtung einer Stiftung "I" (nachfolgend I) verkündet. Es trat am ##.##.19## in Kraft. In das Stiftungsvermögen flossen neben den von der Firma D auf das Treuhandkonto gezahlten 100 Millionen DM weitere 100 Millionen DM durch die Bundesrepublik. Zweck der Stiftung ist es u.a. Leistungen in Form einer Rente und Kapitalentschädigung an Behinderte zu erbringen, deren Fehlbildungen mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Firma D GmbH durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können.


Gem. § 23 StHG erlöschen durch das I unmittelbare Ansprüche der Geschädigten gegen die Firma D, und Ansprüche aus dem Abfindungsvertrag vom ##.##.19## sind gegenstandslos.


Gegen das I wurde im Jahr 19## u.a. Verfassungsbeschwerde erhoben, die das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 08.07.1976 als unbegründet zurückwies. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidung BVerfGE 42, 263 ff Bezug genommen.


Der Kläger behauptet, durch die Zusammenarbeit von verschiedenen Institutionen, Ärzten und der Wissenschaft hätte bereits im Jahr 1959 eine unverhältnismäßige Häufung von Fehlbildungen, die ihre Ursache im Wirkstoff Thalidomid hatten, von der Beklagten erkannt werden können, wenn eine gesetzliche Meldepflicht auf der Grundlage eines Arzneimittelgesetzes bestanden hätte. Soweit damals Meldepflichten bestanden hätten, sei diesen nicht entsprochen worden. Der Kläger ist der Ansicht, dass insofern sowohl ein legislatives als auch exekutives Unterlassen der Beklagten vorliege, das diese zum Schadensersatz verpflichte.


Zudem sei das StHG sowohl formell als auch materiell rechtswidrig. Es stelle insbesondere für die Kinder, für die keine wirksame Zustimmung zum Abfindungsvergleich erteilt worden sei, eine rechtswidrige Enteignung dar, die zum Schadensersatz verpflichte. Jedenfalls sei selbst im Falle einer rechtmäßigen Enteignung eine angemessene Entschädigung gemäß Art 14 III 3 GG zu zahlen. Die nach dem StHG zu leistenden Entschädigungszahlungen seien indes – wie insbesondere der Vergleich mit anderen Entschädigungsgesetzen zeige – unangemessen niedrig.


Eine Verjährung der geltend gemachten Ansprüche könne nicht beginnen, da der Eingriff noch andauere. Jedenfalls sei der Beklagten die Berufung auf die Einrede der Verjährung verwehrt, da diese rechtsmissbräuchlich sei. Die Beklagte müsse die Forderung als unverjährt gegen sich gelten lassen, da sie die Verjährung durch eine sie zum schadensersatzverpflichtende Handlung – den Erlass des StHG und die Berufung auf die vermeintliche Rechtmäßigkeit des StHG – selbst mitverursacht habe.


Darüber hinaus bestünden verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Verjährung der klageweise geltend gemachten Ansprüche. Es sei verfassungswidrig, dass zivilrechtliche Ansprüche selbst bei schwersten Körperschäden verjähren sollen, während die strafrechtliche Verjährung wegen Mordes ausgeschlossen ist.


Wegen der weiteren Einzelheiten des Klägervorbringens wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze, insbesondere auf den Replikschriftsatz vom ##.11.20## (Bl. ## – ### d.A.) sowie auf den Schriftsatz vom ##.01.20## (Bl. ### – ### d.A.) Bezug genommen.


Der Kläger beantragt,


1.) die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 5001,- nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.08.1961 zu zahlen;


2.) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm alle entstandenen und zukünftig entstehenden Schäden materieller wie immaterieller Art zu ersetzen, die auf der Fehlbildung der Arme beruhen, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Firma H GmbH in T durch seine Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können sowie solche Schäden im vorstehenden Sinne, die durch die Enteignung durch das Gesetz über die Stiftung "I" entstanden sind.


Die Beklagte beantragt,


die Klage abzuweisen.


Die Beklagte tritt dem Klagebegehren entgegen und hat die Einrede der Verjährung erhoben. Im übrigen ist sie der Ansicht, es fehle bereits an einer Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers.


Entscheidungsgründe


Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.


I.) Nach Ansicht der Kammer fehlt es bereits an einer Anspruchsgrundlage für das Schadensersatzbegehren des Klägers.


Amthaftungsansprüche gemäß § 839 BGB iVm Art 34 GG hinsichtlich der behaupteten Pflichtverletzung wegen unzulänglicher Überwachung der Meldepflichten und der fehlenden Erforschung der Ursachen für die gehäuften Fehlbildungen scheitern an der erforderlichen Drittbezogenheit der Amtspflichten. Gleiches gilt hinsichtlich des Vorwurfs des legislativen Unterlassens bezüglich des Erlass eines Arzneimittelgesetzes.


Auch im Zusammenhang mit dem Erlass des StHG im Jahre 1971 kommen Schadensersatzansprüche nicht in Betracht.


Insofern geht die Kammer aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 08.07.1976 davon aus, dass das StHG verfassungskonform ist und insbesondere keine Enteignung der schadensersatzberechtigten Egeschädigten vorliegt. Das Bundesverfassungsgericht hat es ausdrücklich als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen, dass durch das StHG eine Gruppe von Schadensfällen dem allgemeinen privatrechtlichen Ordnungssystem entzogen und einer gesetzlichen Sonderregelung unterstellt worden ist und dies als zulässige Inhaltsbestimmung nach Art 14 I 2 GG und nicht als Enteignung im Sinne des Art. 14 III GG eingeordnet. Insofern wird auf die Ausführungen unter D. des Urteils (BVerfGE 42, 263, 290 ff) verwiesen.


Somit stellt sich mangels einer Enteignung im Sinne des Art. 14 III GG für die Kammer nicht die Aufgabe, gemäß Art. 14 III 4 GG über die Angemessenheit einer Entschädigung zu befinden.


Mangels Rechtswidrigkeit des StHG scheiden auch Schadensersatzansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff aus.


II.) Letztlich kann jedoch offenbleiben, ob es eine Anspruchsgrundlage für das Schadensersatzbegehren des Klägers gibt. Denn sämtliche ggfs. bestehenden Ansprüche sind jedenfalls verjährt.


1.) Dabei kann dahinstehen, ob hinsichtlich der Verjährung gemäß Art. 229 § 6 EGBGB die Vorschriften des BGB a.F. oder in der seit 1.1.2002 geltenden Fassung Anwendung finden. In beiden Fällen sind die absoluten Höchstverjährungsfristen überschritten.


Gemäß § 852 I BGB a.F. verjährten allgemein Schadensersatzansprüche wegen unerlaubter Handlung ohne Rücksicht auf den Kenntnisstand des Gläubigers in 30 Jahren vom Beginn der schadensersatzverpflichtenden Handlung an. Sonstige Ansprüche verjährten gem. §§ 195, 198 BGB a.F. in 30 Jahren beginnend mit der Entstehung des Anspruchs.


Nach den Verjährungsvorschriften des BGB in der Fassung vom 01.01.2002 gilt gemäß der in § 199 II, III Nr. 2 BGB geregelten Höchstverjährungsfrist für Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung des Körpers, bzw. der Gesundheit und für sonstige Schadensersatzansprüche, dass diese ohne Rücksicht auf ihre Entstehung und die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an verjähren. Andere Ansprüche verjähren gem. § 199 IV BGB ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis bereits in zehn Jahren von ihrer Entstehung an.


Unabhängig davon, ob man nun die Schadensentstehung oder den Zeitpunkt der Pflichtverletzung als Ausgangspunkt der Verjährung annimmt und ob man auf die behauptete Amtspflichtverletzung im Zusammenhang mit den unterbliebenen Maßnahmen / Gesetzgebungsakten in den Jahren 1957 – 1961 oder auf die Gesetzgebungsakte im Zusammenhang mit dem am 17.12.1971 verkündeten und am 31.10.1972 in Kraft getretenen StHG abstellt, wären etwaige Ansprüche des Klägers zum Zeitpunkt der Klageerhebung verjährt gewesen. Die Klageschrift vom ##.06.20## ist am ##.06.20## bei Gericht eingegangen. Zu dem Zeitpunkt waren sowohl die 10-jährige als auch die 30-jährige Höchstverjährungsfrist abgelaufen.


2.) Soweit der Beklagte einwendet, ein Schuldner müsse eine Forderung als unverjährt gegen sich gelten lassen, sofern er die Verjährung durch eine ihn zum schadensersatzverpflichtende Handlung mitverursacht hat, ist diese Aussage für sich genommen zutreffend (vgl. dazu die Fundstellennachweise bei Palandt-Heinrichs, 68.Aufl., Überbl. v. § 194 Rz.21). Der Einwand greift jedoch vorliegend nicht. Maßgeblich dafür, dass sich ein Schuldner gem. § 249 BGB so behandeln lassen muss, als wäre die Forderung unverjährt, ist, dass gerade die zum schadensersatzverpflichtende Handlung den Gläubiger davon abgehalten hat, etwaige Ansprüche geltend zu machen (z.B. indem der Gläubiger über das Bestehen des Anspruchs getäuscht wurde; ihm bestimmte Informationen vorenthalten wurden, etc.).


Diese Voraussetzungen liegen indes hier nicht vor. Soweit der Kläger auf den Erlass des StHG aus dem Jahr 1971 als unrechtmäßigen und zum schadensersatzverpflichtenden Akt abstellt, so wäre es zum einen allen Berechtigten unbenommen gewesen, trotz des Gesetzes in unverjährter Zeit die Ansprüche geltend zu machen, derer sich der Kläger nunmehr berühmt. Zum anderen greift auch der Einwand des Klägers, dass die Beklagte dadurch, dass sie sich immer auf die Rechtmäßigkeit des StHG berufen habe und durch diese – lt. Kläger unzutreffende - Information – etwaige Berechtigte von der Geltendmachung abgehalten habe, nicht durch. Es ist schon nicht ersichtlich, dass dieses Berufen auf die Rechtmäßigkeit des StHG eine schadensersatzverpflichtende Handlung darstellt. Insofern kann dahinstehen, ob irgendwelche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit im Ergebnis begründet sind. Jedenfalls nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Urteil v. 8.7.1976 die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes bestätigt hat, kann es der Beklagten nicht als schuldhaftes Fehlverhalten zur Last gelegt werden, dass sie auch von einer Rechtmäßigkeit des Gesetzes ausgeht und sich auf die Rechtmäßigkeit beruft.


3.) Auch der Einwand des Klägers, eine Verjährung könne nicht beginnen, solange der Eingriff andauere, geht fehl. Diese Fallgestaltung bezieht sich auf Fälle, in denen die Schadenshandlung andauert. Von diesen Dauerhandlungen sind jedoch die Fälle abzugrenzen, in denen eine dauernde Beeinträchtigung vorliegt, die Schadenshandlung aber abgeschlossen ist. Bei diesen Fällen ist dann der Zeitpunkt für den Verjährungsbeginn entscheidend, in dem die fragliche Handlung vorgenommen/unterlassen wurde (vgl. Müko-Grothe, BGB, 5.Aufl., § 199 Rz. 46 m.w.N.).


Genau dies ist vorliegend der Fall. Die von Klägerseite angeführten Schadenshandlungen/Unterlassungen sind bereits in der Vergangenheit geschehen. Allein die damit für den Kläger verbundenen Folgen/Beeinträchtigungen dauern noch an.


4.) Die Kammer hat auch keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der hier zur Anwendung kommenden Verjährungshöchstfristen gemäß BGB. Soweit der Kläger darin eine Ungleichbehandlung der Verjährungsfristen im Strafrecht und Zivilrecht sieht, ist diese Ungleichbehandlung nicht zu beanstanden. Während das Strafrecht Sanktionscharakter hat, dienen zivilrechtliche Ansprüche dem Ausgleich der Parteiinteressen (Äquivalenz- oder Integrationsinteresse). Insofern fehlt es bereits an einer Vergleichbarkeit der Ansprüche, jedenfalls aber rechtfertigt der unterschiedliche Sinn und Zweck der Gesetze unterschiedliche Verjährungsfristen.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.


Streitwert: € 9.001,80


( Klageantrag zu 1.): € 5.001,-


Klageantrag zu 2.) : € 4.000,80 (= 80 % des Klageantrags zu 1.))


http://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/bonn/ ... 10413.html
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