Politisches (17)
Zu der, anlässlich der Einweihung des Contergan-Denkmals am 31.08.2012 in Stolberg, vom Geschäftsführer der Firma Grünenthal, Dr. Harald F. Stock, ausgesprochenen „Entschuldigung“ nehmen wir wie folgt Stellung:
Das Contergannetzwerk Deutschland e.V. bedauert die verpasste Chance, anlässlich der auf neutralem Boden, dem Kulturzentrum der Stadt Stolberg, stattgefundenen Einweihung des Contergan-Denkmals, eine wirkliche Zäsur im Umgang zwischen der Firma Grünenthal und den Conterganopfern durchzuführen:
Eine Zäsur, ein wirkliches aufeinander Zugehen, setzte nämlich mindestens voraus, dass die Firma Grünenthal ihre alten Positionen zu ihrer Schuld den Geschädigten gegenüber aufgibt, bzw. zumindest nicht weiter wiederholt. So ist die Erklärung des Geschäftsführers,
"Grünenthal hat bei der Entwicklung von Contergan nach dem damaligen wissenschaftlichen Kenntnisstand gehandelt und allen Industriestandards für das Testen von neuen Medikamenten entsprochen, die in den 1950er und 1960er Jahren maßgeblich und anerkannt waren.“
unwahr und ein weiterer Tritt gegen die Conterganopfer! Alleine der Einstellungsbeschluss aus dem Grünenthal/Wirtz-Strafverfahren beweist exakt das Gegenteil!
Anstatt das begangene Unrecht zu entschuldigen, entschuldigt man sich für etwas anderes, nämlich das späte Zugehen auf die Opfer, und erreicht alleine durch den Ausspruch des Wortes „Entschuldigung“ in der Öffentlichkeit den Eindruck, dann es nun endlich soweit sei und Grünenthal Einsicht, Reue zeige und den damit verbundenen Schadensausgleich versu-che.
Wenn es aus rechtlichen Gründen (aus den vielzähligen Verfahren Thalidomidgeschädigter im Ausland gegen die Firma Grünenthal) zum jetzigen Zeitpunkt schwierig wäre, Schuld ein-zugestehen, so wäre es aber unbedingt und zwingend erforderlich gewesen, die alten Behauptung totaler Unschuld zumindest nicht zu wiederholen. Indem das aber erfolgte, wird für uns erkennbar, dass eben keine tiefgreifende Bewusstseinsänderung bei den Verantwortli-chen der Firma Grünenthal eingetreten ist.
„Weil wir das haben kommen sehen“, führt der Vereinsvorsitzende Christian Stürmer aus, „haben wir gegenüber dem Kulturzentrum am 31.08.2012 eine alternative, ehrliche Gedenk-veranstaltung durchgeführt“:
Hierbei wurde in einer christlichen Andacht der tausenden toten Conterganopfer und das Leid der überlebenden Geschädigten gedacht. Da im Zentrum der Macht des Wirtz-Konsortiums kein katholischer oder evangelischer Pfarrer hierzu bereit war, hielt ein serbo-kroatischer Erzprister die Andacht. Hierbei wurden 2o Friedenstauben und 250 beschriftete Luftballons steigen gelassen. Die Ballons trugen den Text:
„Contergannetzwerk Deutschland e.V.
Wir gedenken der tausenden Toten, unseren
schwerstgeschädigten Schwestern und Brüdern.
Firma Grünenthal und
Eigentümerfamlie Wirtz: STELLEN Sie sich der Verantwortung!!
www.contergannetzwerk.de“
Brief von NINA HAGEN an die Familie Wirtz - Eigentümer von Grünenthal - an jeden Einzelnen persönlich, per Eischreiben:
Ostfildern, den 19.04.2012
Contergan – der Skandal setzt sich fort!
Wie bekannt, wurde zwischen den Jahren 1957-1961 das Schlaf- und Beruhigungsmittel „Contergan“ durch die Firma Grünenthal vertrieben, wonach weltweit in ca. 10.000 Fällen Missbildungen an den im Mutterleib heranwachsenden Embryonen entstanden.
Alleine in Deutschland gibt es 2.800 erheblich geschädigte Überlebende, hierunter mannigfache Personen ohne Arme, ohne Beine, oder ohne jegliche Gliedmaßen – oft auch mit weiteren wesentlichen Schäden.
Aufgrund ihrer Behinderung konnten viele Opfer keiner Arbeit nachgehen, was auch dazu führte, dass oft keine, oder nur unzulängliche Rentenansprüche erworben wurden. Zudem stellen sich im zunehmenden Alter schwere Folgeschäden ein, die durch jahrelange Fehlbelastungen entstanden sind.
Der Staat hat „Contergan“ nicht nur - wider besserer Erkenntnis – verspätet vom Markt genommen, sondern steht – selbst in der Verantwortung, weil er sämtliche Ansprüche gegen unseren Schädiger, die Firma Grünenthal, mit § 23 Abs. 1 des Errichtungsgesetzes über die Stiftung, welche die Conterganrenten auszahlt, ausgeschlossen hat.
Nachdem der Firma Grünenthal per Gesetz ihre Verpflichtungen erlassen worden sind braucht Grünenthal keinen Cent mehr zu zahlen, weshalb nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 42,263) der Staat selbst in der Pflicht steht
Contergangeschädigte erhielten bis zum 01.07.2008 je nach Schädigungsgrad monatliche Renten, von höchstens 545 Euro. Indessen avancierte die Eigentümerfamilie von Grünenthal zur dreißig reichsten Familie Deutschlands. die es in den Jahrzehnten nach Stiftungsgründung weder für nötig befand, freiwillige Zahlungen zu leisten oder sich zu entschuldigen. Erst der Contergan-Fernsehfilm "Eine einzige Tablette" löste für die Contergangeschädigten eine "kleine Revolution" und Druck auf die Politik und Grünenthal aus. Die Politik "verdoppelte" eilig zum 1.7.2008 die Renten und auch Grünenthal erbrachte eine "Spende" von 50 Mio. Euro. Während hiernach die Conterganrenten 1127 Euro, wohlgemerkt: im Höchstsatz, also im Schädigungsgrad für Personen ohne Arme und/oder ohne Beine betragen, werden die 50 Millionen aber nicht ausgezahlt, sondern, auf Verlangen von Grünenthal, auf 25 Jahre verteilt, wonach ein Schwerstgeschädigter (z.B. keine Gliedmaßen) hiervon umgerechnet monatlich 300 Euro und Personen ohne Arme oder ohne Beine, mit weiteren wesentlichen Behinderungen, mtl. rd. 191 Euro erhalten. Alleine die Pflegekosten für eine Person, die weder Arme, noch Beine hat, beträgt rd. 12.000 Euro im Monat.
Beispiele aus dem Internationalen Vergleich:
Die jährlichen Leistungen betragen in Großbritannien an Thalidomidopfer jeweils bis zu 62.318,85 Euro; in Italien jeweils bis zu 49.716,24 Euro. In Irland bekommen die dortigen Geschädigten Renten aus der deutschen Stiftung, die der irische Staat nochmal verdoppelt.
Es muss erreicht werden, dass die Conterganopfer insgesamt eine Entschädigung erhalten, mit der sie, die behinderungsbedingten Beeinträchtigungen ausgleichend, ein selbstbestimmtes Leben zu führen in der Lage sind.
Contergannetzwerkes Deutschland e.V.
durch: Christian Stürmer
Vorsitzender