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- Geschrieben von Christian Stürmer
Contergan – der Skandal setzt sich fort!
Contergan, mit dem Wirkstoff Thalidomid, wurde im Oktober 1957 von der Firma Grünenthal insbesondere auf den deutschen Markt gebracht. Grünenthal hat überdies verschiedene entsprechende Lizenzen an ausländische Hersteller vergeben. Von diesem Präparat „Contergan“ wurden weltweit ca. 10.000 Embryonen geschädigt. Hiervon waren in Deutschland ca. 7.000 Kinder betroffen, von denen heute noch ca. 2700 Personen leben. Indessen sind die Betroffenen Mitte 50 und leben großteils ohne Arme und/oder ohne Beine oder mit weiteren wesentlichen Behinderungen.
Der deutsche Staat hat sich im Conterganskandal zum Mitschädiger gemacht, indem er „Contergan“ nicht nur wider besserer Erkenntnis verspätet vom Markt genommen, sondern sämtliche Ansprüche gegen die Schädigungsfirma Grünenthal, mit § 23 Abs. 1 des Gesetzes zur Errichtung der Conterganstiftung für behinderte Menschen, welche die Conterganrenten auszahlt, ausdrücklich zum Erlöschen brachte und es zuließ, bzw. durch sein Handeln bewirkte, dass die Conterganopfer damit weitgehend mittellos dastanden und über 50 Jahre bei den Sozialämtern um das Mindeste kämpfen mussten.
Nachdem entsprechend der Firma Grünenthal per Gesetz ihre Verpflichtungen erlassen worden sind, braucht Grünenthal keinen Cent mehr zu zahlen, weshalb nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 42,263) der Staat selbst in der Pflicht steht.
Contergangeschädigte erhielten bis zum 01.07.2008 je nach Schädigungsgrad monatliche Renten, von höchstens 545 Euro. Indessen avancierte die Eigentümerfamilie von Grünenthal zur dreißig reichsten Familie Deutschlands. die es in den Jahrzehnten nach Stiftungsgründung weder für nötig befand, freiwillige Zahlungen zu leisten oder sich zu entschuldigen. Erst der Contergan-Fernsehfilm "Eine einzige Tablette" löste für die Contergangeschädigten eine "kleine Revolution" und Druck auf die Politik und Grünenthal aus. Die Politik "verdoppelte" eilig zum 1.7.2008 die Renten und auch Grünenthal erbrachte eine "Spende" von 50 Mio. Euro.
Während hiernach die Conterganrenten 1127 Euro, wohlgemerkt: im Höchstsatz, also im Schädigungsgrad für Personen ohne Arme und/oder ohne Beine betragen, wurden die 50 Millionen Euro aber nicht ausgezahlt, sondern, auf Verlangen von Grünenthal, auf 25 Jahre verteilt, wonach ein Schwerstgeschädigter (z.B. keine Gliedmaßen) hiervon umgerechnet monatlich 300 Euro und Personen ohne Arme oder ohne Beine, mit weiteren wesentlichen Behinderungen, mtl. rd. 191 Euro erhielt. Alleine die Pflegekosten für eine Person, die weder Arme, noch Beine hat, betrugen rd. 12.000 Euro im Monat.
Erst im Jahr 2013 fand ein Paradigmenwechsel in der Behandlung der Geschädigten statt.
Nach über 50 Jahren der Unterversorgung der Geschädigten wurden erstmals im Jahr 2013 Renten zuerkannt, womit die Geschädigten weitgehend ein selbstbestimmtes Leben zu führen in der Lage sind. Dies bedeutete für die Conterganopfer ein Paradigmenwechsel in ihrer Behandlung durch den Staat, über den sie sich freuen und den sie sehr wohl ausdrücklich würdigen.
Allerdings bleiben eine Vielzahl von Problemen ungeklärt: Zum Beispiel ist die Versorgung der Personen, die sich jahrzehntelang aufopferungsvoll für den Staat um die Geschädigten gekümmert haben ungesichert. Während selbst im Sozialen Entschädigungsrecht, zum Beispiel für Impfgeschädigte und Soldaten, eine Hinterbliebenenversorgung vorgesehen ist, so drohen die Personen, die sich jahrzehntelang aufopferungsvoll für die Verpflichtungen des Staates gekümmert haben, oft auch keine Rentenansprüche aufbauen konnten, im Falle des Versterbens der Geschädigten, völlig unversorgt zurückzubleiben.
Die Geschädigten betrachten es überdies als tragisch, dass die Ministerialbürokratie den mit dem 3. Conterganstiftungsänderungsgesetz eingeleiteten Paradigmenwechsel des Gesetzgebers nicht nachvollzogen hat.
Nach wie vor werden die Geschädigten nicht „auf Augenhöhe“ behandelt, wies den ursprünglichen Übereinkünften gerecht wurde:
Angesichts der Mitschuld des Staates (er musste als letztes Land im gesamten EWR-Raum zum Erlass von Arzneimittelschutzgesetzen durch die Römischen Verträge gezwungen werden - vier Gesetzgebungsverfahren sind aufgrund des Einflusses der Pharmaindustrie gescheitert) wurde die Stiftung - als Schnittstelle zwischen Staat und den Geschädigten – etabliert.
In diesem Gesamtpaket der Vereinbarungen zur Stiftungslösung (Enteignung mit § 23 Abs. 1 Errichtungsgesetz, Einzahlung der 100 Millionen Euro der damaligen Contergankinder, die Grünenthal bereits geleistet hatte) war gleichsam das Versprechen enthalten, das die Geschädigten adäquat am Stiftungsgeschehen beteiligt werden. Warum auch sonst bräuchte man eine Stiftung? Diese Vereinbarungen werden bis heute nicht erfüllt!
Gerade die Strukturen, der im Kindesalter der Geschädigten, Anfang der 1970er Jahre gegründeten Stiftung bedürfen einer dringenden Demokratisierung und zwar in einer Weise, die nicht nur den Umgang mit den Geschädigten in der Vergangenheit ausreichend reflektiert, sondern selbstverständlich auch der unter dem Leitsatz zusammengefassten modernen Behindertenpolitik Rechnung trägt:
„Nichts ohne uns über uns“.
Contergannetzwerkes Deutschland e.V.
durch: Christian Stürmer
Vorsitzender