Nach dem Contergan-Skandal wurden Pharmatests zu einer teuren Angelegenheit – jedenfalls im Westen
Späte Nebenwirkungen
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Nach dem Contergan-Skandal wurden Pharmatests zu einer teuren Angelegenheit – jedenfalls im Westen
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Es hat mit Contergan zu tun, dass die westdeutsche Arzneimittelindustrie Tests in der DDR durchführen ließ. Unter dem Eindruck des größten deutschen Pharmaskandals beschloss der Bundestag 1976 das „Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechtes“ (AMRNOG). Erstmals wurde ein geordnetes und strenges Zulassungsverfahren eingeführt, in dessen Verlauf die Pharmafirmen Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit neuer Medikamente nachweisen müssen. Bis in die 60er-Jahre gab es keine Verpflichtung zur Prüfung von Wirksamkeit und Sicherheit. Eine einfache Registrierung reichte. Nur so ist es zu erklären, dass das Beruhigungsmittel Contergan der Firma Grünenthal auf den Markt gelangte, obwohl es bei Embryonen schwere Fehlbildungen verursachte.
Das 1978 in Kraft getretene AMRNOG galt damals als eines der weltweit strengsten Arzneimittelgesetze. Zwar hat es seitdem weitere Verschärfungen gegeben, doch in den Grundzügen gelten die damals festgelegten Regeln noch heute. Danach müssen die Pharmaunternehmen zunächst pharmakologische Tests an Tieren und klinische Studien mit kleineren und später auch größeren Versuchsgruppen durchführen. Reichen die Informationen nicht aus, kann das für die Zulassung zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm) weitere Untersuchungen verlangen. In einer Nutzen-Risiko-Analyse werden dann die Kriterien Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität geprüft und bewertet.
Für die klinischen Studien gelten umfangreiche Vorschriften: So muss vor Beginn jeder Studie eine Ethikkommission den Nutzen dieser Untersuchung gegen ein mögliches Risiko für die freiwilligen Teilnehmer abwägen. Außerdem muss das Unternehmen für die Studienteilnehmer eine Versicherung für eventuelle Gesundheitsschäden abschließen. Die Patienten erhalten Informationsschriften – auch diese müssen extra genehmigt werden.
Kosten senken - auf Kosten der Bürger
Das neue Arzneimittelgesetz führte auf einen Schlag zu einer enormen Verteuerung für die Pharmafirmen. Die Zulassung eines Medikaments kostete plötzlich Millionen. Die Unternehmen versuchten daher, die Kosten zu senken. Es lag für sie nahe, zumindest einen Teil der für die Zulassung notwendigen Untersuchungen in die DDR zu verlagern. Die Standards für Tests waren dort zwar ähnlich hoch wie im Westen – offenbar galt dies aber mitunter nur auf dem Papier. Auch in der DDR gab es ein Arzneimittelgesetz, das Tests an Menschen regelte. Vorgeschrieben war ebenso wie im Westen eine umfangreiche Aufklärung der Studienteilnehmer und schriftliche Einverständniserklärungen. Außerdem hielt sich die DDR offiziell an die „Deklaration von Helsinki“, die weltweit die ethischen Grundsätze für die medizinische Forschung am Menschen regelt.
Die westdeutschen Pharmafirmen ließen sich die Einhaltung der Gesetze zusichern und waren so aus dem Schneider. Was tatsächlich passierte, brauchte sie so nicht zu interessieren. Gleichzeitig waren die DDR-Studien damit auch für ein Zulassungsverfahren in Westdeutschland verwendbar.
Nach Angaben der Arzneimittelbehörde Bfarm wurden von Unternehmen bei Zulassungsanträgen in den 80er-Jahren tatsächlich auch Untersuchungen aus Krankenhäusern in der DDR verwendet. Bei einer stichprobenartigen Kontrolle in den vergangenen Monaten sei aber nichts gefunden worden, was auf ein illegales Zustandekommen der Studien schließen lasse, heißt es in der Behörde: „Wenn es Anhaltspunkte dafür gegeben hätte, hätten wir sie schon damals gesehen und das Arzneimittel wäre so nicht zugelassen worden.“
Ob jedoch tatsächlich alles mit rechten Dingen zugegangen sei, ließe sich letztlich nur aus den Unterlagen der betroffenen Krankenhäuser herauslesen. Eine systematische Aufarbeitung der im Bfarm lagernden Zulassungsakten wird in der Behörde aber dennoch für sinnvoll gehalten. Doch das koste Geld und vor allem Zeit: Ein Zulassungsantrag eines einzigen Medikamentes umfasst durchschnittlich 500.000 Seiten.