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Contergan und das Verursacherzahltfastnichtsprinzip

13.03.2013


Contergan: Endlich, endlich „Leistungsverbesserungen“ für die Opfer,
aber warum gibt es keine Debatte zum Verursacherprinzip?

27.2.2013
Die überlebenden contergangeschädigten Menschen in Deutschland können, nach fast einem halben Jahrhundert Verspätung(!), mit einer deutlichen Aufstockung ihrer Rente rechnen. Bisher bekamen sie weniger als 1200 Euro im Monat, in Zukunft soll das Maximum nun bei 6900 Euro liegen. So sieht es ein Gesetzesentwurf des Bundesfamilienministeriums vor.

Endlich, endlich soll es Leistungsverbesserungen für die noch lebenden Opfer geben und die Medien berichten intensiv.

„Das Contergan-Netzwerk ist froh und dankbar, dass die Politik nunmehr so konsequent Leistungsverbesserungen für contergangeschädigte Menschen beschlossen hat und hierfür jährlich 120 Millionen Euro zur Verfügung stellt. (...) Für uns ist das Erreichte aber mehr als nur die Einführung oder Verbesserung einer Leistung. Wir sind geschädigt worden, es wurde ein Bundesgesetz erlassen, womit alle unsere Ansprüche gegen die uns schädigende Firma Grünenthal zum Erlöschen gebracht wurden. Jahrzehnte wurden wir hieraufhin zu den Sozialkassen geschickt. Von uns haben sehr viele nicht mehr an diesen Rechtsstaat geglaubt. Mit diesem nun konsequenten Schritt der Politik können wir nun endlich mit dem Staat unseren Frieden machen.“ schreibt das Netzwerk der Betroffenen in einer Presseerklärung vom 25.2.2013.

Der Contergan-Skandal (aufgedeckt 1961-1962) war der bisher größte Arzneimittelskandal in Deutschland. Durch die schädlichen Nebenwirkungen des Beruhigungsmedikaments Contergan war es zu Schädigungen von bis zu 10 000 Ungeborenen gekommen. Obwohl der Stolberger Herstellerfirma bereits frühzeitig Warnungen über beobachtete Fehlbildungen an Neugeborenen vorlagen, wurde Contergan weiterhin vertrieben.

Am 18. Dezember 1970 wurde das Strafverfahren wegen "geringfügiger Schuld der Angeklagten" und mangelnden öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung nach § 153 StPO eingestellt. Die Eltern der Geschädigten waren durch eine "geschickte" Prozessführung gezwungen, mit der Firma Grünenthal einen Vergleich abzuschließen und verzichteten auf Schadensersatzansprüche in Milliardenhöhe gegen einen lächerlichen Entschädigungsbetrag. Schon im April 1970 war es der Firma gelungen, im Rahmen der Stiftungsgründung und des Stiftungsgesetzes, den Staat (also die SteuerzahlerInnen) in die Pflicht zu nehmen.

"Die strategische Zentrale der Firma Grünenthal liegt in einem idyllischen alten Kupferhof mitten in Stolberg, einem unscheinbaren Städtchen in der Nähe von Aachen. Im historischen Ambiente tagt der Vorstand, und gleich nebenan, im "Haus Grünenthal", wohnt Sebastian Wirtz, der Enkel des Firmengründers. Die Eigentümer der "Grünenthal Pharma GmbH" zählen zu den 30 reichsten Familien Deutschlands. Hier spielen Tradition und unternehmerische Entschlossenheit eine große Rolle - vielleicht liegt es daran, dass Sebastian Wirtz und seine Kollegen so stur auf ihrem Standpunkt beharren." berichtet die Süddeutsche Zeitung über die Milliardärsfamilie Wirtz.


Es ist leider typisch: Die Firma Grünenthal zahlte einmal 114 Millionen Deutsche Mark und im Jahr 2009 noch einmal 50 Millionen Euro, die SteuerzahlerInnen zahlen jetzt jährlich 120 Millionen Euro. Doch altes Unrecht und das Verursacherzahltfastnichtsprinzip ist in der aktuellen Berichterstattung der Medien leider fast kein Thema.

Um es deutlich zu sagen: „Das Geld hätte den Opfern schon viel früher zugestanden und wenn sich gar nichts tut ist es auch sinnvoll, dass der Staat einspringt.“
Dass hinter den jetzigen, notwendigen Zahlungen aber altes, verstörendes Unrecht und ein uralter Justizskandal stehen, sollte doch zumindest Thema in der aktuellen Berichterstattung sein. Das herrschende Grundprinzip der Privatisierung von Gewinnen und der Sozialisierung von Verlusten ist nicht akzeptabel.

Axel Mayer, BUND-Geschäftsführer

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Dieser Artikel wurde 4977 mal gelesen und am 26.4.2019 zuletzt geändert.