Frau Christel Humme, MdB
Stellv. Vorsitzende der SPD-Fraktion
Platz der Republik 1
11011 Berlin
Öffentlicher Brief an Frau Christel Humme, MdB
Sehr gehrte Frau Humme,
ich möchte auf Ihr Antwortschreiben an Frau Jenny Müller eingehen. (Als Kopie in der Anlage)
Es ist richtig, dass wir ab 2009 eine jährliche Entschädigungszahlung von 13.080 EUR (mtl. 1.090 EUR) + eine Sonderzahlung von 3.000 (auf 35 Jahre) EUR als schwerstbehindertes Conterganopfer bekommen. Macht im Jahr zusammen 16.080 EUR.
Das ist ein erfreulicher Fortschritt, aber es kann nicht das Ende der Fahnenstange sein!
Stelle ich diese 16.080 EUR einem Abgeordnetengehalt von jährlich 95.352 EUR gegenüber, macht das einen Unterschied von 79.272 EUR!!!
Ab 2010 liegt der Unterschied sogar bei 81.828 EUR!!!
Wer über ein Jahreseinkommen ab 2010 von 97.908 EUR verfügt, der hat leicht Reden.
Ein Abgeordneter kann außerdem noch folgende Dinge geltend machen:
• Amtsaustattung
• Kostenpauschale
• Mitarbeiter
• Reisekosten
• Altersentschädigung
• Übergangsgeld
• Überbrückungsgeld (Sterbegeld).
Ich selber bin schon mit 35 Jahren "verrentet" worden wegen Erwerbsunfähigkeit auf Grund meiner körperlichen Schäden, die mir durch die Firma Grünenthal zugefügt wurden.
Ich würde gerne meinen Lebensunterhalt mit meinen eigenen Händen verdienen, wenn ich welche hätte! Leider wurde das von der Firma Grünenthal verhindert und ich muss mich heute mit den Abstimmungen der Abgeordneten zufrieden geben, die über meinen Lebensunterhalt entscheiden.
Anders als bei Ihnen und all Ihrer Kolleginnen und Kollegen bestimmt mein Lebensunterhalt zum größten Teil meine Behinderung. Meine körperlichen Schäden verschlucken den größten Teil meines monatlichen Einkommens.
Ich bin auf eine Haushaltshilfe angewiesen, die eigentlich jeden Tag zwischen 4 und 5 Stunden kommen müsste, leisten kann ich sie mir aber nur zwei mal pro Woche - mtl. Kosten 542,42 EUR, im Jahr sind das 6.509,04 EUR. Ab dem 01.01.2009 steigen die Krankenkassenbeiträge, also steigen meine Kosten wieder ohne, dass ich mehr von meiner Haushaltshilfe habe.
Ich bin auf Grund meiner körperlichen Schäden auf ein Kfz mit entsprechendem Umbau angewiesen. Durchschnittliche Aufwendungen ohne Anschaffungskosten und ohne Tankkosten ca. 1.650 EUR. Für physikalische Therapien, Zuzahlung pro Jahr ca. 350 EUR incl. Verordnungsgebühren. Übrige Zuzahlung für notwendige Medikamente ca. 550 EUR pro Jahr.
Meine komplette Garderobe muss ich auf meine Bedürfnisse von einer Schneiderin ändern lassen. Jahreskosten durchschnittlich 1.000 EUR.
Damit ich in meiner Wohnung auch in Zukunft möglichst selbständig und ohne Hilfe klarkomme müssten kostenintensive Umbaumaßnahmen vorgenommen werden, die ich mir momentan aber nicht erlauben kann.
Bevor Sie mir vorschlagen, dass ich ja einen Antrag beim Sozialamt stellen könnte, muss ich Ihnen sagen, dass ich verheiratet bin und das Einkommen meines Mannes ebenfalls dazugerechnet wird. Die Quintessenz daraus ist, dass mein Ehemann für den Mehraufwand der durch meine Behinderung entsteht bezahlen müsste, obwohl er keine Schuld an meinen körperlichen Schaden hat.
Und genau da kommt die Firma Grünenthal wieder ins Spiel, die durch viele kleine und große Manipulationen es seinerzeit geschafft hat sich aus der Schuldfrage herauszuwinden.
Also bleibt uns Conterganopfern nur noch die Möglichkeit uns an die Politikerinnen und Politiker zu wenden und Sie alle davon zu überzeugen, dass wir nicht über alle anderen Menschen mit Behinderungen stehen wollen, sondern wir fordern eine Entschädigungszahlung für die uns beigebrachten Schäden durch die Firma Grünenthal.
Im Übrigen stimme ich voll und ganz Herrn Dr. Ilja Seifert zu, der gesagt hat, dass der ganze Prozess gegen die Mitarbeiter der Fa. Grünenthal sittenwidrig war und bis heute ist.
Nur zur Erinnerung
Unsere Eltern hatten zwei Möglichkeiten:
• Den Vergleich zu unterschreiben (Aussicht auf eine kleine finanzielle Geste)
• Den Vergleich nicht zu unterschreiben (Aussicht auf 0)
…und WIR ??? Wir wurden von vorn herein ausgeschlossen und übergangen mit der Hoffnung, dass das Conterganproblem spätestens 20 Jahre später ausgestorben sei! Wie schon so oft hat sich hier die Politik verrechnet.
Da die Firma Grünenthal es mit Hilfe der damaligen Politik geschafft hat sich vollkommen aus der Verantwortung zu stehlen, fordere ich Entschädigungszahlungen in Höhe des Forderungskataloges der ICTA, damit der Betrug an uns Conterganopfern wieder gut gemacht werden kann. Niemand kann uns unsere Behinderung wegzaubern, aber uns kann, mit der Erfüllung unseres Forderungskataloges, ein selbst bestimmtes Leben ermöglicht werden.
Von ca. 2.800 deutschen, noch lebenden, Contergangeschädigten haben sich bereits 1.172 Opfer der ICTA (Internationale Contergan- Thalidomid Alliance) angeschlossen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Ihrer Familie ein besinnliches Weihnachtsfest und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
……………………………………. Windeck, den 11.12.2008
K. Vollbrecht
---------------------------------------------------------------------------------------------------
26.11.2008
Frage von Jenny Müller
Sehr geehrte Frau Humme,
in verschiedenen Aussagen von verantwortlichen Bundestagsabgeordneten (wie z.B. von Ihnen und Ilse Elisabeth Falk) wird angedeutet, dass alle Contergangeschädigten ca. 3000 Euro im Jahr als zusätzliche Entschädigungsleistung bekämen.
Ich bitte Sie höflich, folgende Fragen zu beantworten:
Geht es den verantwortlichen Politikern darum, durch derartig ungenaue bzw. falsche Angaben die Betroffenen zu besänftigen?
Warum plant die Bundesregierung jährliche Einmalzahlungen an die Conterganopfer anstatt einfach die monatlichen Entschädigungszahlungen zu erhöhen?
Lassen sich jährliche Zahlungen in der Öffentlichkeit besser als großzügige Maßnahme verkaufen?
Mit freundlichen Grüßen
---------------------------------------------------------------------------------------------------
09.12.2008
Antwort von
Christel Humme
Sehr geehrte Frau ,
vielen Dank für Ihre Mail, die ich auch über das Portal Abgeordnetenwatch erhalten habe.
Lassen Sie mich bitte vorab einmal klar stellen: Es gibt deutliche Verbesserungen für die Opfer von Contergan: Die monatlichen finanziellen Unterstützungen wurden ab dem 1. Juli 2008 verdoppelt. Der Höchstsatz der bislang sogenannten Rente von 545 Euro monatlich wurde auf 1.090 Euro angehoben. Das sind 6.540 Euro jährlich mehr für die am schwersten Geschädigten. Dieser Betrag wird nicht auf andere Zahlungen, wie z.B. Erwerbsminderungsrenten, SGB II-Zahlungen oder Sozialgeld angerechnet.
Unabhängig von diesen Unterstützungen aus der Conterganstiftung stehen den Geschädigten zusätzlich die Ansprüche auf Leistungen aus den Sozialversicherungen wie Kranken-, Renten- oder Pflegeversicherung bzw. die Eingliederungshilfen nach dem Zwölften Sozialgesetzbuch zu.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bringen einen Antrag zur angemessenen und zukunftsorientierten Unterstützung der Contergangeschädigten in den Deutschen Bundestag ein, in dem es um ein ganzheitliches Konzept zur Begleitung der Spätschäden geht. Außerdem werden wir einen Entwurf zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes in den Bundestag einbringen. Das Bundeskabinett hat dazu am 3. Dezember bereits eine Formulierungshilfe verabschiedet. Durch den Fraktionsentwurf können wir die Fristen verkürzen und so die geplanten Verbesserungen so schnell wie möglich auf den Weg bringen.
Wichtigste Maßnahmen darin sind die von Ihnen angesprochenen Sonderzahlungen an die Conterganopfer aus dem Stiftungsvermögen. Das Stiftungsvermögen umfasst rund 100 Mio. Euro und enthält auch die Zuwendung von 50 Mio. Euro der Firma Grünenthal. Die Sonderzahlungen sollen ab 2009 bis 3.000 Euro (je nach Schweregrad) pro Jahr betragen. Eine solche jährlich lebenslange Zahlung garantiert eine verlässliche Grundlage für die Betroffenen – Jahr für Jahr ein Leben lang.
Wir sind gerade am Beginn der parlamentarischen Beratungen. Daher bitte ich Sie um Verständnis, dass ich nun zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens keine detaillierteren Auskünfte machen kann. Nur eines ist klar: Die Lebenssituation der Contergangeschädigten liegt uns sehr am Herzen. Wir haben vieles erreicht und wir werden uns weiterhin im Rahmen des vorhandenen Budgets für sie einsetzen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Christel Humme
Stellvertretende Vorsitzende der
SPD-Bundestagsfraktion